2. Netzwerktreffen Spiritualität und Transaktionsanalyse
Nach dem Auftakt 2018 hat das 2. Netzwerktreffen Spiritualität und Transaktionsanalyse am 11. und 12. Oktober hin Kassel stattgefunden. Der lichtdurchflutete Tagungsraum im Haus der Kirche mit Blick in buntes Herbstlaub und blauen Himmel hat das Ankommen und die Auseinandersetzung mit dem Themenfeldern Tod und Skript leicht gemacht, sodass am Samstagnachmittag jede und jeder der Teilnehmenden einen vollen und ebenso bunten Strauß aus vielfältigen Anregungen,
Begegnungen und Austausch mitnehmen konnte. Und so stand am Ende sowohl ein herzliches Dankeschön an die Referentinnen Christine Behrens und Amrei Störmer-Schuppner als auch an die beiden Organisatoren Julia Neuschwander und Matthias Selke, die die Teilnehmenden durch ihre
Impulse aus Liedern und Texten in die emotionale Verwobenheit von Spiritualität und Transaktionsanalyse mit hineingenommen und die beiden Tage moderiert haben.
Christine Behrens begann am Freitagnachmittag ihren Vortag „ Herausforderung Tod“ mit einem biographischen Einstieg und schilderte, wie der Umgang mit Sterben und Tod in dem Dorf ihrer Kindheit selbstverständlich da und vertraut war. Der Tod war im Leben ständig präsent. Großeltern zum Beispiel starben zu Hause und der Friedhof war mitten im Dorf.
Heute leben wir in einer Gesellschaft, in der der Tod tabuisiert und als der größte Erzfeind aller Lebensvollzüge gebrandmarkt wurde, sehr viele Menschen noch nie einen Toten gesehen haben und das Sterben vielfach institutionell ausgelagert und professionell „geregelt“ wird.
Dass der Tod aus dem Kanon kollektiver Lebenserfahrung herausgefallen ist, bedeutet allerdings nicht, dass er überwunden oder machtlos ist. Weil das Bewusstsein des Todes zum menschlichen Dasein gehört, ist der in tiefe Schichten der Seele verdrängte und nicht geachtete Tod in allen Spielformen der Angst umso wirksamer als „Riese, dessen Rüstung der Schrecken ist“ (Ernst Jünger).
Christine Behrens setzt dagegen, dass nur die Begegnung mit dem Tod den Tod entwaffnen kann und ihn als Scheinriesen entpuppt, der im Näherkommen auf ein Normalmaß schrumpft und seinen Schrecken verliert. Bereits die Philosophie der Antike, Kunst, Poesie und Literatur durch die Jahrhunderte, besonders auch die Hospiz und Palliativ-Care-Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeugen davon, dass eine Konfrontation, die Berührung mit dem Tod nicht zu neuer Angst, sondern zu einem vertieften Respekt vor dem Leben führt, dem eigenem und dem der anderen.
Auch Eric Berne hat den Tod als Thema aufgenommen. In seinem Buch Was sagen sie, nachdem sie „Guten Tag“ gesagt haben? schreibt er: „Wer dem Tod nicht ins Auge sieht, hat Angst vor dem Leben.“ Transaktionsanalytisch übersetzt und weitergedacht bedeutet das: Es gibt keine Autonomie ohne den Tod.
Berne nimmt damit implizit das aus der Jüdisch-christlichen erwachsenen Kultur des Memento mori auf. In der Bewusstheit der Endlichkeit des Lebens dient Memento mori als Instrument im Kampf gegen Selbsttäuschung, Bequemlichkeit und Angst. Als Begleiter auf dem Weg zu erfüllter Autonomie bestärkt das Bewusstsein um die Endlichkeit des Lebens unsere Spontaneität für das, was dran ist, Intimität und mitfühlende, bereichernde Beziehungen und ist – so verstanden wieder – eine spirituelle Kraftquelle, die Zukunft öffnet und nicht verschließt.
Im Anschluss an den Vortrag tauschen sich die Teilnehmenden in drei Workshops aus:
WS 1: Bilderzyklus eines Sterbenden, aus Monika Müller „Nach Innen wachsen“
WS 2: Werkstattgespräch: TA-Konzepte zum Bild vom Riesen, dessen Rüstung der Schrecken ist.
WS 3: Biographiearbeit: Meine (frühen) Erinnerungen an den Kontakt mit Sterben und Tod.
„Hüte dich vor dem Abgrund.“ So ermahnt die Mutter ihre Tochter Ronja, bevor sie die Räuberhöhle verlässt und den Tag draußen im Wald verbringt. Mit diesem Zitat aus Astrid Lindgrens Kinderbuch Ronja Räubertochter nimmt Julia Neuschwander beim Tagesausklang die Thematik auf und zeigt einen möglichen Weg des Umganges mit der Herausforderung Tod auf. Ronja Räubertochter hütet sich vor dem wahrhaft totsicheren Abgrund und zwar nicht, indem sie ihn ängstlich meidet, sondern immer und immer wieder hinüber springt. Indem Ronja Räubertochter, sprich das freie Kind die Herausforderung annimmt, sie aktiv und spielerisch in ihre Lebenswelt integriert, stärkt es seine Eigenverantwortlichkeit und Autonomie.
„Wer schreibt meine Lebensgeschichte?“ dieser Frage geht Amrei Störmer-Schuppner am Samstag nach, indem sie zunächst 3 theologische Konzepte aus der Theologiegeschichte aufnimmt; beginnend mit Augustinus (Kirchenlehrer und Philosoph 4. Jh.), der anhand der biblischen Erzählung vom verlorenen Sohn ausführt, dass das Ich/Individuum sich verliert und zerfällt und es bedarf, sich neu zu gründen in der Liebe Gottes Liebe, um wieder zu einem ich zu werden. Auch E. Troeltsch (Theologe und Politiker 1865-1923) sieht den Menschen als ein Wesen, das sich in etwas eingebettet
versteht und definiert. D. Bonhoeffer (Theologe 1906-1945) fragt in deinem Gedicht „wer bin ich?“ nach dem spannenden Verhältnis zwischen den von außen zugeschriebenen und den inneren, vom Ich des Autors empfundenen Charakterisierungen. In allen drei Bespielen zeigt Störmer Schuppner aus transaktionsanalytischer Perspektive das Konzept des integrierten ER auf, das sich sowohl nach innen als auch nach außen regulieren muss und lädt die Teilnehmenden zum Austausch in Zweiergesprächen ein zu der Frage, wo in diesem Konzept die Seele ihren Ort hat.
Im Anschluss liest Amrei Störmer Schuppner in der Form eines drehenden Plenums an drei unterschiedlichen Stellen im Raum jeweils einen Text von Hazrat Inayat Khan, Willigis Jäger und Wilhelm Gräb. Dabei verstand sie sich als Gongmeisterin, die mit den Texten Klangräume öffnet und die Zuhörenden damit einlädt, wahrzunehmen, welche Resonanzen in ihnen zum Klingen kommen. In drei Gesprächsgruppen zu den einzelnen Texten und einer vierten von denjenigen, die sich keinem der Texte zugeordnet haben, folgt ein Austausch unter den Teilnehmenden.
Auf Grundlage der drei Texte fasst Amrei Schuppner Störmer für das Themenfeld Spiritualität und Skript zusammen: Wenn ich mich selbst begreife, werde ich demütig; allerdings nicht im Sinne von kleiner und weniger selbstbewusst, sondern in der Erkenntnis der schöpferischen Kräfte in mir, die jeder Mensch hat, um seine Skript mitzugestalten. Dazu haben wir eine Fülle biblischen Texten und Ritualen, die wir für uns selbst nutzen und auch anderen anbieten können. In Bezug auf Skript heißt
dementsprechend ein von Gott reden (auch), von sich selbst reden. Mit und in gelebter Spiritualität findet immer auch eine Erweiterung des Bezugsrahmens statt durch die Erlaubnis im integrierten ER, heilsame Sinndeutungskonzepte zu finden. Zum Thema Tod und Autonomie bedeutet das folglich auch die Erlaubnis, über ein nach dem Tod nachzudenken oder zu fragen, wo ich mich (im Tod) wiederfinde. Was theologisch in der christlichen Rechtfertigungslehre explizit zum Sein als Kind Gottes (im Tod)
beschrieben wird, ist aus TA-Perspektive die Erlaubnis, dass ich fertig machen kann (Spiel) und es
okay ist.
Dörte Keske